Ein Theatergespräch über Berufe, das Schauspiel und die Magie der Bühne
In einem fesselnden Gespräch mit dem Theaterregisseur Jürgen Flügge, der unseren Deutschunterricht Anfang Februar 2025 besuchte, erhielten wir tiefe Einblicke in die Welt des Theaters und seine persönliche Reise durch diese Kunstform. Flügge, der selbst viele Berufe hat und auch Schauspieler ist, hat interessanterweise nie Schauspiel studiert. Stattdessen absolvierte er ein Studium der Theaterwissenschaften und der Germanistik, was ihn zunächst in die Rolle eines Dramaturgen führte. Bekannt ist Flügge heute vor allem als künstlerischer Leiter des HOF-THEATERS-TROMM im Odenwald.
„Ich begann meine Karriere als Berater für Regisseure, aber schnell wurde mir klar, dass ich direkt mit Menschen arbeiten wollte, nicht isoliert am Computer im Büro“, erklärt Flügge. Diese Erkenntnis führte ihn zur Regiearbeit. „Meine Tätigkeit als Theaterwissenschaftler und Dramaturg hat mich in der Kunst des Geschichtenerzählens und der Charakterentwicklung geschult. Derzeit arbeite ich mit Kindern an kreativen Theaterprojekten – eine Aufgabe, die mir besonders am Herzen liegt.“
Flügge betont die Bedeutung von Teamwork in seiner Arbeit: „Als Regisseur und bei der Stückentwicklung bin ich ein Teamworker. Man muss Teamwork am eigenen Körper erfahren.“ Flügge, der auch als Berater für Firmen Erfahrung mitbringt, beschreibt uns deshalb zunächst eine ganz konkrete Teambuilding-Methode, die er schon häufig durchgeführt habe. „Oft mangelt es an echter Zusammenarbeit, was sowohl Kreativität als auch Effizienz beeinträchtigt. Eine stärkere Teamdynamik könnte durch gezielte Übungen gefördert werden – etwa durch interaktive Warm-ups, die das Vertrauen und die Kommunikation innerhalb des Teams stärken.“
Was einfach scheint, sei für viele Führungskräfte eine Herausforderung: nicht gleich vorzupreschen, sondern als Teil der Gruppe agieren. Wir führen Flügges Übung im Klassenraum durch: Alle sollen dabei gemeinsam und exakt zum gleichen Zeitpunkt aufstehen – aber ohne Worte. Flügge ist verblüfft, dass die Übung in unserem Kurs sofort recht ordentlich funktioniert. Er erzählt, dass seine Erfahrung in Firmen eine andere sei. Hier gebe einer den Ton an (der Chef) und alle folgen. Deshalb lasse er dafür die Schuhe und Krawatten ablegen, um Hierarchien zu verflachen.
Vor dem Theater sind eben alle gleich.
Ein weiteres zentrales Thema in Flügges Arbeit ist die Kommunikation durch Körpersprache. „Wir haben die Sprache verloren“, sagt er nachdenklich. „Als Schauspieler geht es darum, den Zuschauern Emotionen und Gefühle zu übermitteln. Das Bewusstsein für Körpersprache und deren Wirkung ist entscheidend.“ Die Entwicklung eines Stücks geschieht bei ihm immer im Team, basierend auf einem gemeinsamen Gedanken. „Kommunikation ist das Fundament jeder Branche – besonders aber in der Theaterwelt. Häufig scheitert die Verbindung zwischen Redner und Publikum nicht an den Inhalten, sondern an einer unzureichenden Körpersprache. Um dies zu optimieren, müssen wir nicht nur klar und präzise kommunizieren, sondern auch gezielt Mimik und Gestik einsetzen, um unser Publikum wirklich zu erreichen. Das Bühnenbild schafft die Atmosphäre, während die Mimik und Körpersprache eines Schauspielers darüber entscheiden, wie eine Figur beim Publikum ankommt. Wer eine Rolle authentisch verkörpern will, muss den Charakter in all seinen Facetten verstehen.“
Ob auch die Sprache selbst eine Rolle spiele bei Kommunikationsproblemen, wollen wir wissen. „Absolut. Eine präzise und bewusste Ausdrucksweise ist essenziell, um Missverständnisse zu vermeiden. Besonders problematisch sehe ich die zunehmende Verwendung von Anglizismen, die den klaren Sprachgebrauch erschweren können. Es ist wichtig, unsere Sprache differenziert und mit Bedacht einzusetzen.“
Auf die Frage nach der Rolle des Theaters in der heutigen Zeit antwortet Flügge: „Theater ist gute Unterhaltung. Im Gegensatz zu Netflix, das zwar billig ist, aber oft zu weit weg von den Menschen, regt Theater zum Mitdenken an.“ Er vergleicht die Erfahrung eines Theaterbesuchs mit dem Streaming-Konsum: „Theater bietet ein gemeinsames Erleben im öffentlichen Raum, aktives Mitdenken, ein echtes Erlebnis in 4D. Netflix hat zwar seine Vorteile in Ausstattung und Perspektivenvielfalt, aber es dient oft nur der Berieselung.“
Das unmittelbare Erleben sei das Besondere am Theater. Es sei ein Live-Medium, das keine zweite Chance kenne. Die Zuschauer seien dabei nicht nur passive Konsumenten, sondern nehmen aktiv an der Interpretation teil. Diese Unmittelbarkeit könne kein Bildschirm ersetzen.
Flügge sieht Film und Theater dennoch nicht als Konkurrenz, sondern als koexistierende Formen der Unterhaltung. „Theater ist ein Erlebnis, von dem man lange erzählt, während Netflix oft nebenbei läuft“, erklärt er. Die Rolle des Publikums sei im Theater eben eine ganz andere: „Jede Inszenierung lebt vom Zusammenspiel zwischen Bühne und Zuschauerraum. Besonders klassische Werke wie Faust müssen immer wieder neu hinterfragt werden, um ihre Relevanz für das heutige Publikum zu bewahren.“
Aus der Perspektive der Produzierenden schaffe die intensive Arbeit mit Schauspielern im Theater für ihn eine besondere Magie, die in Filmproduktionen oft fehle.
Zum Abschluss sprechen wir über die Ausbildung im Theaterbereich. Auf die Frage, ob man Präsenz lernen kann, antwortet Flügge: „Ja, zum Beispiel durch Workshops. Es hat viel mit dem Körper zu tun.“ Und Flügges Rat für angehende Schauspieler?
„Es gibt viele Wege zum Erfolg – von Festanstellungen an Theatern bis hin zu freiberuflichen Engagements. Wichtig ist, sich frühzeitig über die verschiedenen Vertragsmodelle und ihre Auswirkungen auf berufliche Stabilität und künstlerische Freiheit zu informieren.“
Flügges Leidenschaft für das Theater und seine Überzeugung von dessen einzigartiger Kraft sind während des gesamten Gesprächs spürbar. Er vermittelt ein Bild vom Theater als lebendige, unmittelbare Kunstform, die trotz oder gerade wegen der Digitalisierung ihre besondere Bedeutung behält.
Charlotte Dönigus und Hiba Benhaj Yahia (Q4)