Es geht um nichts weniger als um die Pflege der Demokratie in Deutschland. Dies ist das große und oberste Ziel, das sich die Schule mit der jährlichen Organisation der Gedenkkulturwoche für die E-Phase vornimmt. In diesem Jahr fand die Gedenkkulturwoche vom 14. -17. März statt.
Fest im Programm ist seit einigen Jahren ein Besuch der Gedenkstätte Buchenwald in Weimar. Wenn man die Schülerinnen und Schüler im Anschluss an den Besuch fragt, welche Erfahrungen sie dort machen konnten und was ihnen im Gedächtnis bleiben wird, hört man viele unterschiedliche Äußerungen. Man solle schon in der 8. Klasse fahren. Aber auch: Es sei zu früh für ein Kind, das alles zu sehen. Die beengte Unterbringung der Gefangenen könne man heute nicht mehr nachvollziehen. Die Öfen seien furchtbar. Man könne doch keinen Zoo neben ein KZ bauen.
Gemeinsam ist allen Äußerungen eins: Es sei etwas anderes, wenn man den Ort besucht, wo das Grauen tatsächlich stattgefunden hat. Anders, als wenn man im Unterricht darüber lese.
Fest im Programm ist weiterhin ein Studientag, den sich die Schülerinnen und Schüler nach Interesse gestalten können. Die jährlich wechselnden Themen der Module werden von Lehrkräften aller Fächer angeboten, neun in diesem Jahr:
- Diskriminierung im Alltag begegnen;
- Was ist „lebensunwertes“ Leben?
- Angriffe auf die Erinnerungskultur-Wie die Rechten die Geschichte umdeuten
- Theaterpädagogik und Erinnerung
- „Entartete“ Musik
- Schüler*innen als Zweitzeugen
- Erinnern und Gedenken, aber wie?
- Hidden Codes-Strategien der Rechten in Social Media
- Schuld und Verantwortung-Buchenwald philosophisch betrachtet
Die Besonderheit im diesjährigen Programm war, dass wir den Literaturkritiker, Journalisten und Autor Uwe Wittstock für unsere Schule gewinnen konnten, der die MPG-Gedenkkulturwoche krönte und sein Buch „Februar 33. Der Winter der Literatur“ für die gesamte E-Phase im Pfälzer Schloss vorstellte. Im Buch schildert er genau und spannend, wie es den Schriftstellern und Künstlern in Deutschland rund um die Wochen der Machtübernahme Hitlers erging.
In seinem Vortrag zeigte Uwe Wittstock zunächst die Bedeutung des Anhalter Bahnhofs in Berlin für die Situation der Exilanten. Für viele Menschen war dieser Bahnhof die letzte Chance aus Nazideutschland zu fliehen. Der Anhalter Bahnhof am Askanischen Platz existiert heute nicht mehr, er wurde 1945 zerstört, übrig ist lediglich ein Portal. Jedoch ist ein Exilmuseum an dieser Stelle geplant (Eröffnung voraussichtlich 2026, Stiftung Exilmuseum).
Dass bereits Hitlers Propagandaminister Goebbels fake-news in die Welt setzte, zeigte Uwe Wittstock anhand der Bilder des nachgestellten Fackelzugs im Sommer 1933. Weil dem Minister die Bilder vom Januar 1933 nicht bombastisch genug waren (es war kalt), ließ er den Zug in quadratischer Nazi-Formation kurzerhand geschönt nachstellen.
Von den vielen Schriftstellern, die im Buch erwähnt werden, wählte Uwe Wittstock für die Schülerinnen und Schüler einige aus und stellte ihre Erlebnisse im Jahr 1933 vor. Spannend und gefährlich war z.B., wie Bertolt Brecht und seine Frau Helene Weigel – nach dem Reichstagsbrand beide eiligst auf der Flucht- nachträglich versuchten, ihre zweijährig Tochter Barbara über die Grenze zu bringen. Weil dem Kind die Papiere fehlten, konnte es nicht ausreisen und erst durch die Hilfe einer ehemaligen Geliebten Brechts konnte das Kind mit fremden Papieren fliehen. Eine Geschichte wie ein Krimi, aber deutsche Realität dieser Zeit. Darauf verwies Uwe Wittstock mehrfach: Alle Geschichten sind sorgfältig recherchierte Wahrheit, nichts ist erfunden.
Erinnerungspädagogik hat am MPG einen hohen Stellenwert. Schließlich geht es beim Erinnern an Nazideutschland vor allem um den Blick nach vorn, um Demokratie in Abgrenzung zur Diktatur. Wie anfällig und bedroht eine Demokratie durch die Feinde der Demokratie ist, dies wurde nach Uwe Wittstocks Vortrag noch einmal mehr deutlich.
Bild: Lilli Schlipf
Film: Stefan Friedrich
Text: Mona Denzer