Stellen Sie sich vor, Sie wünschen sich, auf dem Kopf gehen zu können und plötzlich ergreift Sie eine riesenhafte, namenlose Angst. Diese Angst überredet Sie zu immer verrückteren Taten, Ihr Umfeld entfremdet sich von Ihnen, Ihr Leben scheint zerstört. Eine erschreckende Vorstellung für den durchschnittlichen, psychisch gesunden Schüler – doch genau mit diesen Symptomen und dem damit verbundenen Krankheitsbild namens Schizophrenie, wurden Deutschkurse der Q2 am MPG am Montag, den 13. März 2017, konfrontiert.
Frau Dr. med. Lotte Kundmüller, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, stellte dem MPG unentgeltlich ihre Expertise zur Verfügung und referierte über die psychische Erkrankung Schizophrenie sowie über schizophrene Elemente in Georg Büchners ab 1835 entstandener Novelle „Lenz“.
Einer Schülerin des Deutsch-Leistungskurses brachte der Vortrag ein besseres Verständnis der Novelle, da nun „Sachen, die [von ihr] vorher gar nicht richtig wahrgenommen wurden, nun anders interpretiert werden konnten.“ Doch was ist an der Eigenart von Lenz und seinen schizophrenen Psychosen so schwer zu verstehen?
Die Schizophrenie gehört als psychische Erkrankung zu den sogenannten F-Diagnosen. Diese Diagnose darf nur ein psychologischer Psychotherapeut oder eine psychologische Psychotherapeutin, ein Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie feststellen. Ob jemand schizophren ist oder nicht, lässt sich anhand von acht Leitlinien erkennen: Bei Lenz zeigen sich vor allem Wahnwahrnehmungen, Denkstörungen und Halluzinationen der Sinne. Außerdem verfällt er in einen bizarren Wahn, als er versucht, das tote Kind wieder zum Leben zu erwecken – hier glaubt er, Jesus zu sein.
Lenz‘ immer schlechter werdender Krankheitsverlauf lässt ihn, laut der Oberärztin, in eine Apathie (Teilnahmslosigkeit) geraten. Er kehrt zuletzt kaum noch in die Realität zurück und die Episoden seiner schizophrenen Psychosen werden immer länger. Glücklicherweise gibt es heute, im Gegensatz zu damals, verschiedene Behandlungen für Schizophrenie: Medikamente, Psychotherapie, Soziotherapie oder auch Reizabschirmung. Wie Frau Dr. Kundmüller bemerkte, könne es sich auch bei Lenz‘ Aufenthalt in Waldbach lediglich um eine solche Reizabschirmung handeln, da er seinen wahrscheinlich in Straßburg aufkommenden Problemen zu entfliehen versucht.
Auch die weniger literarisch Faszinierten konnten ihren Wissensdurst durch vielerlei Statistiken löschen: Männer und Frauen seien gleich oft von Schizophrenie betroffen, insgesamt würde circa 1 % der Bevölkerung daran leiden. Das bedeutet, ungefähr 800.000 Menschen in Deutschland erkranken mindestens einmal in ihrem Leben an einer schizophrenen Psychose.
Solche eher nebensächlichen Fakten wurden von einigen Schülerinnen und Schülern als „unnötig“ und „zu ausschweifend“ bezeichnet, andere fanden sie hingegen „interessant“, „aufschlussreich“ oder „super“.
In der abschließenden Fragerunde wurde thematisiert, ob unsere Gesellschaft in Bezug auf Schizophrenie immer verrückter werde. Die Antwort war ein zögerliches Nein, denn grundsätzlich gelten immer noch die 1 %. Jedoch lasse sich sagen, dass durch die Flüchtlingswelle viele traumatisierte Menschen zu uns gekommen seien.
Allumfassend lässt sich sagen, dass Lenz und sein Umfeld in sehr schwierigen Verhältnissen mit der Schizophrenie leben mussten. Trotzdem musste Lenz mit seiner schweren Erkrankung zuletzt doch alleine und einsam fertig werden.
Damit das nicht mehr passieren muss, gibt es Menschen wie Frau Dr. med. Kundmüller: Ihr kann man für die Ausübung ihres wichtigen Berufs und auch für ihren Vortrag am MPG danken!
Text und Foto: Ronja Schnellen