Telefoninterview mit der Bundesumweltministerin Svenja Schulze, geführt von Victoria Giloi am 1.10.2019
(im Auftrag des Umweltgremiums und im Rahmen des Erasmusprojekts Green Teen Entrepreneurs des Max-Planck-Gymnasiums)
Das Max-Planck-Gymnasium in Groß-Umstadt macht sich stark in Sachen Klimabildung: Die Schule beteiligt sich an einem internationalen Schulprojekt bei dem es um Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein und um die Schulung von unternehmerischen Fertigkeiten (Entrepreneurship) und Berufsorientierung geht. Dazu wurde eine nachhaltige Schülerfima gegründet. Dieser ist es bspw. zu verdanken, dass die To-Go-Becher im Bistro der Vergangenheit angehören.
Außerdem gibt es den Wahlunterricht „Upcycling“, in dem aus alten Stoffen und Gegenständen tolle Produkte hergestellt werden. Im Wahlunterricht „Naturkosmetik“ stellen die Schüler zertifizierte Naturkosmetikprodukte her.
Besonders engagiert sich jedoch auch eine große Schülergruppe im Umweltgremium der Schule, nachmittags, außerhalb ihres Unterrichts. In Kooperation mit den Groß-Umstädter Geschäften sollen z.B. Mehrwegverpackungen für den Imbiss in der Mittagspause eingeführt werden. Das Gremium schult die Mitschüler in der korrekten Mülltrennung an der Schule und hat vielfältige weitere Ideen.
Das Umweltgremium hatte auch am 1.10.2019 die Gelegenheit, die Bundesumweltministerin Svenja Schulze telefonisch zu interviewen:
(…)
V. Giloi: Am 20.09 wurde das neue Klimaschutzpacket vorgestellt und erntete auch sofort Kritik. Sind Sie mit dem Konzept zufrieden und was hätten Sie sich anders gewünscht? Die Wissenschaft, konkret Forscher vom Potsdam Institut (für Klimafolgenforschung) haben einen CO2-Preiskorridor von 35-70 € pro Tonne bis 2020 und 70-180 € bis 2030 empfohlen, um die Klimaziele einzuhalten. Warum sind nun im Klimaschutzpaket nur 10 € pro Tonne entschieden worden?
S. Schulze: Ich glaube, dass das eine ganz wichtige Weichenstellung ist, die wir da entschieden haben, weil Klimaschutz jetzt das erste Mal wirklich verbindlich im Gesetz geregelt wird. Es ist für jeden einzelnen Bereich ganz klar wie viel CO2 wir reduzieren müssen. Es ist ein verbindliches Ziel, wo immer wieder nachgesteuert wird. Das ist für mich ganz wichtig. Und es gibt jetzt ein Umsteuern. Heute ist es auf manchen Strecken viel günstiger zu fliegen, als mit der Bahn zu fahren, das werden wir jetzt ändern. Es gibt demnächst eine Absenkung der Mehrwertsteuer bei Bahnkarten und gleichzeitig wird das Fliegen teurer, so dass sich klimafreundliches Verhalten jetzt auch lohnen wird – das war bis jetzt nicht so.
Das mit dem CO2 Preis, das ist ein kleiner Baustein, der ist sehr intensiv diskutiert worden, aber das ist nur eine kleine Maßnahme und da haben wir uns entschieden, die sehr niedrig anfangen zu lassen. Es geht im Kern darum, dass Treibstoff und Heizen viel teurer wird. Das ist das Ziel eines CO2-Preises. Dieses „teurer werden“, fangen wir langsam an und dann wird das auf der Strecke immer wieder teurer werden, sodass dann jeder weiß, es lohnt sich, eine neue Heizung anzuschaffen, es lohnt sich, ein sparsameres Auto zu nutzen. Wir machen es nicht von heute auf morgen, weil es einfach ganz viele Leute gibt, die das nicht bezahlen können. Diejenigen, die z.B. bei mir zuhause in Münster als Krankenschwester oder als Pfleger in der Uniklinik arbeiten, können nicht einfach auf das Auto verzichten, zu deren Schichtzeiten fährt gar kein Bus. Sie müssen sich auch weiterhin leisten können, zur Arbeit zu kommen. Sie müssen sich langsam umstellen: das nächste Auto wird eins, das weniger Sprit verbraucht, die nächste Heizung wird eine sein, die weniger CO2-Ausstoß hat, oder am besten gar keinen. Das ist der Weg den wir jetzt gehen, also ein Weg über viele, viele Jahre, den wir aber verlässlich machen wollen.
V. Giloi: Glauben Sie selbst daran, dass der Klimawandel noch aufgehalten werden kann und können Sie auch die Panik der Jugend verstehen und dass wir fordern, dass jetzt etwas getan werden muss. Und zwar schnell.
S: Schulze: Ich kann die Panik sehr gut verstehen, aber es ist nun auch schon eine Menge passiert, was viele junge Leute gar nicht mehr wissen, wir haben schon umgesteuert auf regenerative Energien. Als ich vor über 20 Jahren angefangen habe, mich dafür zu interessieren, wurde mir gesagt, es gehen nur maximal 4-5 % Erneuerbare, sonst bricht das Stromnetz zusammen. Heute sind wir bei 40 %. Wir sind noch nicht schnell genug, aber wir haben schon eine ganze Menge auf den Weg gebracht und wir können auch noch mehr. Ich bin optimistisch, weil auch die Wissenschaft optimistisch ist. In den Gutachten des Weltklimarats wurde aufgeschrieben, was man tun muss, damit man die Ziele noch erreicht. Das wird in der Politik, nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit, wirklich ernstgenommen.
V. Giloi: Wir haben darüber gesprochen was die Politik tun müsste, oder tun könnte. Warum hält die EU denn aber weiter an dem Freihandelsabkommen mit Brasilien fest? Trotz der Waldbrände und der Fleischproblematik!
S. Schulze: Die EU ist im Moment in der Diskussion, mit Brasilien. Es ist gar nicht so einfach zu sagen: „Wir stoppen das jetzt alles!“ Ich selbst habe heute eine Diskussion mit dem brasilianischen Umweltminister, weil wir wollen, das Brasilien sein Verhalten verändert, die Wälder wieder aufforstet und nicht geholzt.
Wir importieren Soja aus Brasilien, welches manchmal sogar noch gentechnisch verändert ist, um hier unglaubliche Mengen an Tieren damit zu füttern. Deren Fleisch wird dann wieder exportiert und bei uns bleiben die Gülle und die ganzen Reste, so kann das nicht funktionieren, davon müssen wir weg kommen. Das machen wir in Deutschland jetzt zum Beispiel über das Düngerecht. Das klingt ein bisschen verrückt, aber über die Düngung wird jetzt klar gemacht, dass eben nicht mehr so viele Tiere auf so engem Raum stehen dürfen, weil die Belastungen für die Umwelt einfach zu hoch sind. Also auch da gehen wir dran. Es ist nur nicht ganz so einfach, Verträge aufzukündigen. Man muss das Schritt für Schritt tun und erst miteinander reden.
V. Giloi: Aber Sie sind grundsätzlich dafür, das Abkommen mit Brasilien aufzukündigen?
S. Schulze: Die Aufkündigung bringt erstmal nicht so viel. Ich bin grundsätzlich dafür, dass die Brasilianer ihr Verhalten ändern und dass wir Ihnen dabei helfen, indem wir ganz klar sagen: „Ihr exportiert hierhin und ihr wollt, dass wir eure Sachen kaufen. Das werden wir aber nur, wenn die Bedingungen stimmen!“ So etwas muss man miteinander vereinbaren. Im Gespräch bleiben, das ist ganz wichtig, ohne das wird nichts besser.
V. Giloi: Dann nun ein kleiner Themensprung: Wie stehen Sie zu Fridays for Future und wo sehen Sie die Bewegung in Zukunft?
S. Schulze: Ich finde Fridays for Future ist etwas Unglaubliches gelungen. Wir haben es nämlich durch eine Jugendbewegung und auch vor allem durch Greta geschafft, dass ganz viele Menschen sich mit dem Thema Klimakrise auseinandersetzten. Das ist ein wirklich großer Verdienst und deswegen finde ich es erstmal wichtig, dass es Fridays for Future gibt.
V. Giloi: Und wo sehen Sie die Bewegung in der Zukunft?
S. Schulze: Ich hoffe, dass sie sich noch weiter verbreitet, dass sich einfach noch viel mehr Menschen anschließen. Ich hoffe, dass mehr Auszubildende, mehr Ältere mit dazukommen. Das passiert ja jetzt schon, aber das ist für eine Umweltministerin natürlich wirklich klasse, wenn sich so viele Leute für dieses wichtige Thema engagieren.
V. Giloi: Haben Sie eine Strategie, um ökologische und soziale Schäden, die bei der Produktion von Waren entstehen, für den Verbraucher sichtbar zu machen und sehen Sie eine CO2-Bepreisung, wie viele Wissenschaftler sie empfehlen, an dieser Stelle für sinnvoll an?
S. Schulze: Ich glaube, dass ein Preis für CO2 sinnvoll ist. Wir machen das ja jetzt auch, wir steigen da jetzt mit ein. Wir müssen aber noch viel stärker deutlich machen, was eigentlich in dem Produkt drinnen ist. Man sieht das ja von außen nicht. Das Ganze ist eine Frage der Lieferketten: Was ist mit dem T-Shirt, das ich billig gekauft habe? Warum ist das eigentlich so billig? Was steckt da an Arbeit drin? Welche Umweltthemen stecken dahinter? Das muss stärker sichtbar werden, daran arbeiten wir gerade. Es ist ja erst sechs Jahre her, dass in Bangladesch eine Textilfabrik abgebrannt ist und dort ganz viele Menschen ums Leben gekommen sind, einfach weil die Arbeitsstandards so schlecht waren. Die Umweltbedingungen sind dort nicht gut, das muss stärker sichtbar werden und dass ist eine internationale Verantwortung, die wir haben: Wir wollen ja nicht nur, dass die Umweltstandards in Deutschland gut sind, die sollen weltweit besser werden.
V. Giloi: Und wie soll der Verbraucher das sehen? Soll da eine Plakette drauf, die für alle verpflichtend ist, oder ist der Preis einfach höher?
S. Schulze: Am liebsten wäre es mir, wenn wir über klare Regeln das ganz so festlegen, dass solche Dinge nicht passieren dürfen: So, dass man (z.B.) keine Waren mit Kinderarbeit hier hat. (…)Verbraucher und Verbraucherinnen müssen das sehen können. Es gibt schon eine unendliche Vielfalt von Siegeln, da steigt schon kaum noch jemand durch, deswegen glaube ich, dass wir vom Staat klarer sagen müssen, „Das sind unsere Siegel und da kann man sich auch sicher sein, dass das stimmt.“ Es muss verlässlich sein.
V. Giloi: Arbeiten Sie schon an solch einem Siegel oder ist das im Moment eher noch eine Idee?
S. Schulze: Es gibt schon solche Siegel, an denen wir arbeiten, die jetzt auf den Weg kommen, aber es fehlt noch eins, das wirklich umfassend ist. Es gibt etwas für das Tierwohl, es gibt etwas für Umweltstandards, aber es gibt noch kein Siegel, das dass alles zusammenfasst. Das ist auch gar nicht so einfach, denn wir müssen das ja auch überprüfen können. Wir können nicht einfach ein staatliches Siegel ausgeben und dann ist nicht das darin, was wir drauf schreiben. Deswegen sind wir in den Gesprächen. Im Bereich Textil fängt es gerade an, aber wir sind noch nicht am Ende mit den Diskussionen.
V. Giloi: Finden Sie es problematisch, dass das BMU einen so breitgefächerten Aufgabenbereich hat? Da ist ja wirklich so viel dabei. Wäre es vielleicht besser, wenn sich ein extra Ministerium um Umwelt kümmern würde und nur darum?
S. Schulze: Nein, ich finde das genau richtig, denn ganz viel hängt auch zusammen. Wenn wir jetzt gerade die Klimakrise sehen, die globale Erhitzung dieser Welt: Das hat auch ganz enge Beziehungen zu Umwelt-Themen, denn die Meere, die Natur insgesamt – das verändert sich im Moment auch ganz stark. Wir verlieren ganz viel an biologischer Vielfalt. Das alles zusammen zu denken und wirklich auch Lösungen (zu finden), auch z.B. für die biologische Vielfalt, die vielen Arten, die wir erhalten wollen. Da ist es gut, dass die Themen hier alle beieinander sind. Wichtig ist, dass man genug Leute hat, die das auch bearbeiten, und das haben wir hier. Das Ministerium ist ja so aufgeteilt, dass es unterschiedliche Abteilungen gibt und sich diese Abteilungen jeweils mit ihren Experten darum kümmern, Themen zu bearbeiten.
V. Giloi: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, die Fragen zu beantworten.
S. Schulze: Ich sag nochmal vielen Dank, dass ihr euch damit so intensiv beschäftigt, ich finde das wirklich klasse, am liebsten wäre ich vorbei gekommen und hätte das diskutiert. Das schaffen wir aber nicht, aber dann wenigstens am Telefon. Wenn noch Fragen sind, oder noch irgendwas unklar ist, wir können gerne hin und her Mailen und dann kann ich auch gerne noch etwas beantworten.