Vortrag des „Zweitzeugen“ Oliver Vrankovic aus Israel zum Gedenktag am 8. Mai am MPG in Groß-Umstadt
„NIE WIEDER“ ist das Motto des Gedenktages am 8. Mai, zu dem der „Runde Tisch jüdisches Leben in Groß-Umstadt“ zusammen mit dem Max-Planck-Gymnasium um eingeladen hatte. Denn am 8. Mai 1945 endete der 2. Weltkrieg. Der Redner war Oliver Vrankovic aus Israel, der in seinem Vortrag Holocaustüberlebende zu Wort kommen ließ, die heute sehr alt sind und deren Lebenserinnerungen aus einer dunklen Zeit er aufgeschrieben und gefilmt hatte, um sie als „Zweitzeuge“ an Interessierte weiterzugeben.
Die Begrüßung der Gäste übernahm Markus Willmann, Leiter des Fachbereichs II am MPG, herzlich begrüßt wurden vor allem die Schülerinnen und Schüler aus Grund- und Leistungskursen Geschichte, Politik und Wirtschaft. Willmann bettete den 8. Mai in die Historie der Bundesrepublik ein und erläuterte kurz und knackig die Grund-DNA unseres Staates, „never again, never alone“.
Margarete Sauer, ehemalige Schulleiterin und jetzt aktiv am „Runden Tischs jüdisches Leben in Groß-Umstadt“, erklärte Entstehung und Ziel des Gremiums und die Verknüpfung mit der Stadt Groß-Umstadt und dem Max-Planck-Gymnasium.
Oliver Vrankovic wurde in Deutschland geboren, doch lebt seit nun mehr als zwölf Jahren in Israel. Er ist Pflegehelfer im „Elternheim Pinchas Rozen“ in der Nähe von Tel Aviv, das ursprünglich für Holocaust-Überlebende eingerichtet wurde, mittlerweile aber allen Nationen offensteht. Hier hat er durch die Gespräche mit den alten Menschen gemerkt, wie kostbar deren Erinnerungen für uns Nachgeborene sind. Er übergibt den Zeitzeugen direkt das Wort, indem er über zehn Videodokumente zeigt, in denen besagte Überlebende der Shoa, manchmal humorvoll, manchmal sehr nüchtern, aber immer mit großer Ernsthaftigkeit von jenen Tagen, jenen Jahren erzählen, in denen sie in Deutschland erst verhetzt, dann zusammengetrieben und schlussendlich eingepfercht, misshandelt und zu großen Teilen vernichtet wurden.
Die Zweitzeugenerzählungen sind einprägsam:
Da ist die Geschichte von Lore Wolf, deren Vorfahren schon unter preußischer Führung, später dann im ersten Weltkrieg gekämpft hatten und die so richtig nie verstehen wollte, wie sie und ihre Familie nicht als deutsch gelten konnten oder warum sie plötzlich ihr „arisch gewordenes Pferd“ nicht mehr reiten durfte. In der Nacht vom 8. auf den 9. November, so Lore Wolf, wurde die Tür der Familie eingeschlagen, Möbel wurden zerstört, die Menschen wurden in den Stall gesperrt, der Vater nach Buchenwald transportiert. Lore sollte ihren Vater dann nach sechs Wochen im KZ Buchenwald abholen, sollte ihm einen Hut mitbringen, was sie zunächst nicht verstand. Als sie ihn dann sah und zuerst gar nicht mehr erkannte, so dünn war er und Haare trug er keine mehr, dann, meinte sie, sei ihr schlussendlich klar geworden, welche Grausamkeit ihrem Volk angetan wurde. Dies dürfe NIE WIEDER geschehen.
Dann ist da auch die Geschichte eines Mannes, der von Gruppierungen berichtete, die sich gegen den Naziterror wehren wollten. Ihm war es wichtig, der Welt zu erzählen, dass sich das jüdische Volk nicht kampflos ergeben habe. Daraufhin gefragt, warum er im Angesicht eines so überlegenden Gegners probiert habe, sich zur Wehr zu setzen, entgegnete jener Mann, dass er sich sehr wohl darüber bewusst war, dass es ein Kampf gewesen sei, den er nicht gewinnen konnte, doch dafür habe er es nicht getan. Getan habe er es für die „jüdische Ehre und drei Zeilen in den Geschichtsbüchern“. Um NIE WIEDER Opfer zu sein.
Oliver Vrankovic, der selbst Kinder im Alter der Oberstufenschülerinnen und Schüler hat, die demnächst drei Jahre zur israelischen Armee gehen, spricht auch vom heutigen Antisemitismus, von Plakaten auf Antiisraeldemonstrationen mit der Aufschrift „from the river to the sea“ und damit von den Plänen einiger angrenzenden Staaten, Israel ins Meer „zurückzutreiben“ und zu vernichten. Sein NIE WIEDER speist sich deshalb aus anderen Bedrohungen als das NIE WIEDER der Deutschen Nachkriegsgenerationen. Sein NIE WIEDER ist viel stärker verbunden mit der Landesverteidigung und der Unterstützung der israelischen Armee. Aus Notwendigkeit, so Vrankovic, nicht aus Begeisterung.
Die Schülerinnen und Schüler des Max-Planck-Gymnasium waren vor allem dankbar über die Möglichkeit eines solchen Vortrags und auch in den anschließenden Gesprächen war ein deutliches Interesse vernehmbar. Doch Vrankovic irritierte die Schülerinnen und Schüler auch mit seiner Sicht, denn er argumentierte damit, dass man in Deutschland nur schwer verstehen könne, warum man zu Waffen greifen soll, um den Frieden zu verteidigen. Die gleiche Irritation spiegelt sich ja aktuell in den sehr belebten Diskussionen rund um Waffenlieferungen an die Ukraine. Diese Diskussion kennen die Schülerinnen und Schüler aus dem Unterricht. Auch Vrankovics Emotionalität fiel den Jugendlichen auf. Doch in Israel sei man eben dauerhaft von Terror und Vernichtung umgeben und aufgrund der kollektiven Erinnerung an den Holocaust, wolle man es nicht mehr drauf ankommen lassen, sondern man wolle vorbereitet sein. Ein wehrhaftes NIE WIEDER, das polarisiert und aktuell ist.
Über ein paar wichtige Dinge war man sich an diesem Sonntagmittag jedoch einig: Dass man NIE WIEDER vergessen darf, was damals ab 1933 in Deutschland passierte und dass man es weitertragen muss, um aus der Geschichte zu lernen. Dass man „miteinander reden soll, nicht übereinander“, wie Bürgermeister René Kirch betonte. Dass ein direkter Kontakt mit Menschen nicht ersetzbar ist, aber „Jeder der heute einem Zeugen zuhört, selbst ein Zeuge wird“, so zitiert Oliver Vrankovic den Holocaustüberlebenden Eli Wiesel. Und dass man den „drei üblen Burschen, dem Vergessen, dem Verleugnen und der Scham, keine Macht geben soll“, wie Pfarrer Christian Lechelt am Ende der Veranstaltung uns „Drittzeugen“ nahelegte.
Am Samstag, den 21.Mai 2022, sind interessierte Schülerinnen und Schüler des MPG zu einem Ausflug in den Hessenpark in die „Umstädter Synagoge“ eingeladen. Für Schülerinnen und Schüler des MPG sind Fahrt, Führung und Eintritt kostenlos. Interessierte melden sich bitte bei Herrn Willmann (M.Willmann@mpg-umstadt.de) oder direkt über den Runden Tisch bei Frau Sauer (m.sauer@ladadi.de)
Text: Paul Hosang (LK Politik und Wirtschaft MPG), Mona Denzer (Presse-und Öffentlichkeitsarbeit MPG)
Fotos: Marco Fitzek (LK Politik und Wirtschaft)